Der Königsweg der Angstbewältigung
Text: Matthäusevangelium 10, 26-33 - Einheitsübersetzung
Darum fürchtet euch nicht vor ihnen! Denn nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird, und nichts ist verborgen, was nicht bekannt wird. Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet am hellen Tag, und was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet von den Dächern. Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch vor dem, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann. Verkauft man nicht zwei Spatzen für ein paar Pfennig? Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde ohne den Willen eures Vaters. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt. Fürchtet euch also nicht! Ihr seid mehr wert als viele Spatzen. Wer sich nun vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen. Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen.
Texterläuterung
Die Wahrheit, die Gott durch die Botschaft seines Sohnes Jesus von Nazareth der Welt mitgeteilt hat, kommt früher oder spüter für alle Menschen ans Licht. Sie kann von Menschen eine bestimmte Zeit totgeschwiegen werden, aber sie wird deshalb nicht tot. Man kann über sie abstimmen und sie niederstimmen, schlussendlich aber wird sie sich durchsetzen. Man kann über sie spotten, aber sie wird ihre Spötter einholen. Man kann die, welche die Wahrheit verkünden, zum Schweigen bringen und töten, aber die Wahrheit wird siegen. Wer die Wahrheit verkündet, hat die Wahrheit auf seiner Seite.
Zur Zeit Jesu hatten die Häuser in Palästina flache Dächer. Abends saß man nach der Hitze des Tages gerne auf den Dächern. Nicht nur Gespräche mit der Nachbarschaft gab es von Dach zu Dach, sondern auch öffentliche Mitteilungen wurden von Dächern aus bekanntgemacht. Wenn die Frohe Botschaft "von den Dächern" verkündet werden soll, so heißt das: Macht es so, dass das Evangelium überall gehört und verstanden werden kann!
Die Bibel denkt ganzheitlich. Sie zerteilt den Menschen nicht in Leib und Seele, sondern sieht ihn als Einheit, als Ganzheit von Leib und Seele. Der Mensch ist als Ganzer "Leib" und als Ganzer "Seele". Mit "Leib" ist hier der irdische, vergängliche Körper gemeint. Das griechische Wort "psyché", das hier mit "Seele" übersetzt wird, hat zudem die Bedeutungen: Leben, Verstand, Gemüt, Herz, Sitz der Person, das Ich, Umschreibung der ganzen Person.
"... fürchtet euch vor dem, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann": Damit ist Gott gemeint. "Gott fürchten" hat aber nichts zu tun "mit Angst haben vor Gott". "Gott fürchten" besagt: Gott und seine Worte, seinen Willen achten und ernst nehmen; denn mein ganzes Glück und mein Heil hängen davon ab. Wer Gott und seine Worte, seinen Willen nicht ernst nimmt, sich ihnen verschließt und sich nicht um sie kümmert, wer auf irdische Götzen mehr baut als auf Gott, schafft sich selbst und anderen die Hölle.
"Hölle": wörtliche Übersetzung: die "Gehénna"; das "Ben-Hinnom-Tal" (= Tal der Söhne Hinnoms; heute Wadi er-Rababi), eine Talschlucht, die Jerusalem im Südwesten begrenzt, war den Juden ein Ort des Abscheus, nachdem hier dem Moloch Kinderopfer dargebracht worden waren. Der hebräische Name des Tales "Gej ben hinnom" wurde später in der Abkürzung "Gehénna" die Bezeichnung der Hölle. Moloch ist die Bezeichnung einer phönizisch-kananäischen Gottheit, der nach biblischer Überlieferung Kinderopfer durch Feuer dargebracht wurden.
"Spatz" ist eine verbreitete Bezeichnung für den Sperling. Sperlinge waren die begehrtesten, aber billigsten Vögel, die im Orient verzehrt wurden. Für die einfachen Leute gab es damals kein Brathendl, dafür aber Sperlinge, die mit Netzen gefangen und dann immer im Zweierpack angeboten wurden. Bezahlt wurden Sperlinge mit den kleinsten Münzen, die es gab. Mehr wert waren sie den Menschen damals nicht. Gott aber sind sie wertvoll. Er liebt alle seine Geschöpfe.
"für ein paar Pfennig": wörtliche Übersetzung: "für ein As" oder "für ein Assárion". Das As bzw. Assarion war eine kleine römische Kupfermünze mit geringem Wert.
"Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt": Dieses Bildwort drückt Gottes liebende Fürsorge für den Menschen aus.
Sich zu Christus bekennen ist weit mehr als Lippen-Bekenntnis und erschöpft sich auch nicht in religiösen Handlungen, sondern bedeutet vor allem, nach der Botschaft Jesu zu leben (= den Willen Gottes im alltäglichen Leben umzusetzen). Wer die Botschaft Jesu zwar hört, aber sie nicht lebt, verleugnet Christus.
Worte des Lebens für uns
Ein Freund erzählte uns von seiner glückseligen Beziehung zu seinem Vater: Ich hatte das Glück, einen ausgesprochen guten Papa zu haben. Als Kind fürchtete ich mich sehr vor Gewittern, aber nur wenn mein Papa nicht bei mir war. Wenn er da war, fühlte ich mich sicher und geschützt. Ich glaubte, dass mein Papa stärker ist als Blitz und Donner. Bei ihm kann mir nichts passieren. Einmal waren Papa und ich mit dem Fahrrad unterwegs. Ich saß auf dem Kindersitz. Ein Gewitter zog heran. Es begann immer lauter zu donnern und heftig zu regnen. Wir hatten noch einen ziemlich langen Weg vor uns bis nach Hause. Ich erinnere mich, wie ich damals zu meinem Papa sagte: „Ich fürchte mich nicht, weil du bei mir bist.” Ich weiß auch noch, wie ich im Alter von sieben, acht Jahren einmal zu ihm sagte: „Ich habe es so schön bei dir und Mama. Ich kann am Abend ohne Sorgen einschlafen und am Morgen ohne Sorgen aufwachen.” In meiner Kindheit und Jugendzeit fühlte ich mich bei meinen Eltern wunderbar geborgen. Von Papa und Mama ist nie Angstmachendes ausgegangen, nicht im Geringsten. Mit meinen Ängsten lief ich zu ihnen und fand Schutz, Hilfe und Trost.
Angst ist eine Grundbefindlichkeit unseres Lebens. Wir erleben unser Leben zerbrechlich, erfahren uns in unserer Existenz bedroht und vielen Gefahren ausgesetzt. Angst hat tausend Gesichter: Angst vor Gott, vor Mitmenschen und vor uns selbst, Angst im Zusammenhang mit unserer Vergänglichkeit und Sterblichkeit, Angst, nicht angenommen, anerkannt und geschätzt zu sein, Angst, nicht geborgen, sicher und geschützt zu sein.
Es gibt keine absolute irdische Sicherheit, keine dauerhafte Absicherung und keinen Halt, an dem wir uns uneingeschränkt festmachen können.
Wir sind überzeugt, dass die Angst Wurzel und Grundursache ist für den Großteil der unheilvollen Zustände in unserer kleinen und großen Welt. Darum hat die Heilung von Angst für das Heil unseres Lebens und das Heil der Welt größte Bedeutung und höchsten Rang.
Die große Frage heißt, wie wir unsere Angst bewältigen können. Psychologen bieten viele wertvolle Wege der Angstüberwindung an. Darauf gehen wir hier nicht näher ein. Wir schauen auf Jesus von Nazareth, um von ihm zu lernen. Wie geht er mit Angst um? Jesus wendet sich in seiner Angst an seinen Abba und spricht seine Angst vor ihm aus. Jesus ist erfüllt vom Urvertrauen eines Kindes, dass sein Abba ihn niemals fallen lässt, und dass er nie tiefer fallen kann als die Hände seines Abba. An seinen Abba klammert er sich in seiner Not. Im Schoß seines Abba weiß er sich aufgehoben. Jesus verkündet Gott als den, vor dem wir niemals Angst haben müssen, sondern bei dem wir in allen unseren Ängsten Festigkeit und Zuflucht finden.
Jesus zeigt uns sein Vertrauen auf seinen Abba. Sein Abba ist auch unser Abba. An zahlreichen Stellen überliefern uns die Evangelien seine Worte: „Fürchtet euch nicht! Habt keine Angst! Ich bin bei euch. Ich bin bei euch alle Tage.”
Vertrauen auf Jesus ist für uns die beste aller Möglichkeiten, sozusagen der Königsweg der Angstbewältigung. Es geht darum, kindliches Urvertrauen zu Jesus zu lernen, dass er uns in jeder Lebenssituation mit felsenfester Sicherheit hält und trägt und zur rechten Zeit alles so fügt und geschehen lässt, wie es recht und gut für uns ist.