Beten ändert Gott nicht - es ändert den Beter
Text: Lukasevangelium 18, 1–8 - Einheitsübersetzung neu
Jesus sagte ihnen durch ein Gleichnis, dass sie allezeit beten und darin nicht nachlassen sollten: In einer Stadt lebte ein Richter, der Gott nicht fürchtete und auf keinen Menschen Rücksicht nahm. In der gleichen Stadt lebte auch eine Witwe, die immer wieder zu ihm kam und sagte: Verschaff mir Recht gegen meinen Widersacher! Und er wollte lange Zeit nicht. Dann aber sagte er sich: Ich fürchte zwar Gott nicht und nehme auch auf keinen Menschen Rücksicht; weil mich diese Witwe aber nicht in Ruhe lässt, will ich ihr Recht verschaffen. Sonst kommt sie am Ende noch und schlägt mich ins Gesicht. Der Herr aber sprach: Hört, was der ungerechte Richter sagt! Sollte Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen, sondern bei ihnen zögern? Ich sage euch: Er wird ihnen unverzüglich ihr Recht verschaffen. Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben auf der Erde finden?
Texterläuterung
Jesus hat die Gleichnisse in einer jeweils einmaligen Situation seiner Gottesverkündigung erzählt. Den jeweiligen Bildstoff hat er aus dem Leben seiner Heimat genommen und dabei oft an konkrete Begebenheiten angeknüpft.
Nach Jesu Sterben und Auferstehen haben die Gleichnisse Jesu in der Urkirche "gelebt". Sie wurden von den Verkündern der Botschaft Jesu zunächst mündlich weitergegeben und noch später erst aufgeschrieben.
In der Urkirche haben die Gleichnisse aus verschiedenen Gründen Akzentverschiebungen und Umdeutungen erfahren:
- Jesus hat aramäisch gesprochen. Die Übersetzung der Gleichnisse ins Griechische brachte unvermeidlich Sinnverschiebungen mit sich.
- Auch das Anschauungs- und Bildmaterial wurde gelegentlich "mitübersetzt".
- Früh kam es zu Ausschmückungen der Gleichnisse.
- Gelegentlich wirkten alttestamentliche Schriftstellen und volkstümliche Erzählungsmotive auf die Deutung der Gleichnisse in der Urkirche ein.
- Gleichnisse, die Jesus ursprünglich seinen Gegnern erzählt hat, wendete die Urkirche auf die Christengemeinden an. Dabei wurden aus den Gleichnissen zum Teil Mahnreden an die Christen.
- Die Urkirche bezog die Gleichnisse auf ihre konkrete Situation, die vor allem durch das Ausbleiben der baldig erwarteten Wiederkunft Christi gekennzeichnet war. Sie deutete die Gleichnisse dementsprechend um und erweiterte sie.
- In vermehrtem Ausmaß deutete die Urkirche die Gleichnisse allegorisch. Allegorisch bedeutet, dass nicht ein einzelner Vergleichspunkt (der springende Punkt), sondern alle Bilder des Gleichnisses gedeutet werden.
- In der Urkirche wurden Sammlungen von Gleichnissen zusammengestellt; gelegentlich wurden zwei Gleichnisse zu einem zusammengefügt.
- Die Urkirche gab den Gleichnissen einen Rahmen durch einen Einleitungs- oder einen Abschlusssatz oder durch beide. Dadurch kam es zu Verschiebungen des ursprünglichen Sinnes.
Bei jedem Gleichnis gilt es daher, den ursprünglichen Sinn herauszuarbeiten: Was hat Jesus seinen Hörern damit sagen wollen?
Der Einleitungssatz des Gleichnisses vom Richter und der Witwe enthält eine Deutung des folgenden Gleichnisses. Sie setzt den Akzent auf die Beharrlichkeit, Hartnäckigkeit und Unnachgiebigkeit der Witwe. Diese Deutung jedoch trifft wohl kaum den ursprünglichen Sinn des Gleichnisses.
Wortgetreue Übersetzung: Ein Richter war in einer Stadt Gott nicht fürchtend und einen Menschen nicht achtend.
"Gott nicht fürchtend": er kümmert sich um Gott und Gottes Willen nicht.
"einen Menschen nicht achtend": er pfeift darauf, was man ihm nachsagt und wie man über ihn denkt.
Die Witwe kann auch eine junge Frau gewesen sein. Das Heiratsalter der Mädchen lag normalerweise zwischen 13 und 14 Jahren. Daher gab es auch ganz junge Witwen. Weil sich die Witwe an einen Einzelrichter wandte, handelte es sich um eine Geldangelegenheit, z. B. Schulden, die ihr jemand nicht zurückzahlte oder ein Erbteil, das ihr vorenthalten wurde.
Ihre einzige "Waffe" ist ihre Beharrlichkeit und Unnachgiebigkeit.
Mit dem Widersacher ist der Prozessgegner gemeint.
Das griechische Wort, das hier mit "ins Gesicht schlagen" übersetzt ist, hat auch die Bedeutung "quälen". Somit ist auch die Übersetzung möglich: damit nicht bis zum Ende, kommend, sie quält mich.
"Der Herr aber sprach: Hört, was der ungerechte Richter sagt! Sollte Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen, sondern bei ihnen zögern? Ich sage euch: Er wird ihnen unverzüglich ihr Recht verschaffen." In diesen Sätzen wird das Gleichnis ein zweites Mal gedeutet, und zwar in eine andere Richtung. Nun wird das Verhalten des Richters in den Mittelpunkt gerückt. Er wird als Gegenbild Gottes hingestellt. Wenn schon dieser Richter, der keine Achtung vor Gott und den Menschen, das heißt, keine Liebe zu Gott und zu den Menschen hat, zwar erst nach langer Zeit und nur wegen der auf Dauer schwer zu ertragenden Lästigkeit der Witwe schlussendlich ihr doch zu ihrem Recht verhilft, um wieviel mehr wird sich der liebende Gott von der Not seiner Geschöpfe anrühren lassen und ihnen helfen. Er läßt sich nicht erst schön bitten und nach langem Beknien und Bedrängen gnädig erweichen, sondern ist immer für seine Geschöpfe da, weil er sie liebt. Diese zweite Deutung trifft mit hoher Wahrscheinlichkeit den ursprünglichen Sinn des Gleichnisses, also das, was Jesus mit diesem Gleichnis eigentlich vermitteln wollte.
Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde (noch) Glauben vorfinden? Mit diesem Wort wollte Jesus seinen Zuhörern sagen: An der Liebe und Hilfe Gottes braucht ihr nicht zu zweifeln. Um etwas anderes sollt ihr euch Sorgen machen, nämlich dass ihr selber Vertrauen auf Gott und seine Liebe habt.
Wenn Jesus von sich selber sprach, nannte er sich Menschensohn und sprach in der 3. Person von sich. Etwa 50 verschiedene Namen und Titel stehen für Jesus im Neuen Testament, wie z. B. Christus (hebräisch: Messias, deutsch: der Gesalbte), Kyrios (deutsch: Herr) und Sohn Gottes. Sie sind Ausdruck der vielen Bilder, die sich seine Zeitgenossen und auch die Nachwelt von ihm gebildet haben. Jesus hat nur einen Namen für sich verwendet und der lautet "Menschensohn". "Menschensohn" kommt aus der jüdischen Religion. Schon hier ist der Begriff mehrdeutig. Menschensohn kann für das Volk Israel stehen; es kann der endzeitliche Retter Israels sein, der Heilskönig der Endzeit oder ein Himmels- bzw. Engelswesen; es kann eine endzeitliche Richtergestalt sein; schließlich lässt es der damalige jüdische Sprachgebrauch zu, dass Menschensohn eine Bezeichnung für den Menschen schlechthin ist. Das Neue Testament enthält die Bezeichnung Menschensohn 83 Mal. Was meinte Jesus damit, wenn er sich Menschensohn nannte? Jesus hat es vermieden, sich Messias zu nennen. Denn er war ein ganz anderer Messias, als das israelitische Volk erwartet hat. Erwartet wurde ein mächtiger Herrscher-Messias. Jesus aber ist der Messias, der von Macht im Sinne von Herrschen und Gewalt nichts hält, sondern einzig auf die Macht der Liebe und der Menschlichkeit setzt.
Worte des Lebens für uns
Jesus redet von Gott. Er zeigt mit seinem Leben, mit seinen Worten und Taten, das Wesen Gottes, wie Gott ist beziehungsweise wie Gott nicht ist. Seine Worte sind nicht lange abstrakte, theoretische Erörterungen und Abhandlungen über Gott, sondern er erzählt Geschichten, Gleichnisgeschichten, aus dem alltäglichen Leben der Menschen, knüpft an allseits bekannte Begebenheiten und Ereignisse an und drückt sich in Bildreden und Metaphern aus.
Der Richter in der Gleichnisgeschichte dieses Evangeliums verhilft der Witwe schlussendlich zu ihrem Recht, nicht weil er ein weiches, warmes, einfühlsames Herz hat, das sich berühren lässt von ihren Sorgen und Nöten, sondern um sich diese Nervensäge aus seiner Sicht vom Hals zu schaffen und die ständige Belästigung loszuwerden. Bloß wegen ihrer Beharrlichkeit und Hartnäckigkeit gibt er nach langem Zögern nach.
Das Verhalten der Witwe und das Verhalten des Richters sind typisch menschlich. Wenn es darum geht, Menschen zu bewegen, uns Wünsche und Bitten zu erfüllen und uns zu helfen und auf irgendeine Art zu unterstützen, gibt es noch andere menschliche Verhaltensweisen, z. B. Gegenleistungen versprechen oder schön bitten, weil sich Menschen gerne bitten und beknien lassen, sich einschmeicheln, umgarnen und zu Gefallen reden, schöntun und beweihräuchern, buckeln, kriechen und hofieren, weil das Menschen gern mögen.
Solche menschlichen Verhaltensweisen wurden und werden gerne auf Gott übertragen und schaffen in uns ein Gottesbild, das mit Jesus in keiner Weise übereinstimmt.
Mit der Gleichnisgeschichte von der Witwe und dem Richter macht uns Jesus deutlich, dass Gott anders ist, dass er auf solche Verhaltensweisen der Menschen nichts gibt und sie nicht in Anspruch nimmt. Auch wenn es von Menschen immer wieder so praktiziert wird, Gott lässt sich nicht gerne bitten oder beknien und er ändert seine Gedanken, seine Pläne und Wege nicht, auch nicht, wenn wir den Himmel noch so inständig anflehen und ihn mit Gebeten bestürmen und bedrängen. Denn Gottes Gedanken, seine Pläne und Wege sind vollkommen. Darum braucht er sie nicht zu ändern und wird sie nicht ändern. Auf Grund dessen können wir Gott nicht umstimmen und zum Einlenken bewegen. Denn Gott weiß als einziger, was für uns wirklich gut ist. Wir wissen es nicht, weil wir nicht das Ganze sehen. Wir können auch das Herz Gottes nicht erweichen und gnädig stimmen, nicht weil er unnachsichtig und gnadenlos wäre und ein kaltes, hartes Herz hätte, sondern weil sein Herz von vornherein grenzenlos weich, warm und einfühlsam ist.
In seiner ganzen Botschaft leitet uns Jesus an, ganz fest darauf zu vertrauen, dass Gott voraussetzungslos und bedingungslos in unüberbietbarem Maß gut zu uns ist und uns zur rechten Zeit und in rechter Weise das Rechte gibt. Nicht auf Grund von erbrachten Leistungen und nicht, weil wir gut, brav und anständig sind, ist Gott gut zu uns.
Gott erwartet von uns keine Gegenleistungen. Er braucht auch unsere Gebete nicht, sondern wir brauchen sie, um zu lernen, auf ihn zu vertrauen und uns zuversichtlich in seine Pläne fallen zu lassen. Gebete ändern Gott nicht, sondern den Betenden. Gebet gibt uns Kraft, schenkt uns Gelassenheit und Erleichterung, gibt uns Hoffnung, nimmt uns Angst und macht uns Mut in schönen und in schweren Zeiten.
Danke, Jesus, dass du es möglich machst, dass mein Beten mein Vertrauen auf dich erweckt, stärkt und vermehrt.
Danke, Jesus, dass mir meine Gebete Kraft und Hoffnung geben, Gelassenheit und Erleichterung schenken, mir meine Angst nehmen und mir Mut machen in schönen und schweren Zeiten.
Danke, Jesus, dass ich glauben lernen kann, dass du voraussetzungslos und bedingungslos in unüberbietbarem Maß gut zu mir bist und mir zur rechten Zeit und in rechter Weise das Rechte gibst.
Das Lernen des Reiches Gottes ist einfach wunderbar.