Der ganz Andere

Text: Matthäusevangelium 3, 1-12 - Einheitsübersetzung neu

In jenen Tagen trat Johannes der Täufer auf und verkündete in der Wüste von Judäa: Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe. Er war es, von dem der Prophet Jesaja gesagt hat: Stimme eines Rufers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn! Macht gerade seine Straßen! Johannes trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Hüften; Heuschrecken und wilder Honig waren seine Nahrung. Die Leute von Jerusalem und ganz Judäa und aus der ganzen Jordangegend zogen zu ihm hinaus; sie bekannten ihre Sünden und ließen sich im Jordan von ihm taufen. Als Johannes sah, dass viele Pharisäer und Sadduzäer zur Taufe kamen, sagte er zu ihnen: Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt, dass ihr dem kommenden Zorngericht entrinnen könnt? Bringt Frucht hervor, die eure Umkehr zeigt, und meint nicht, ihr könntet sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen dem Abraham Kinder erwecken. Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen. Ich taufe euch mit Wasser zur Umkehr. Der aber, der nach mir kommt, ist stärker als ich und ich bin es nicht wert, ihm die Sandalen auszuziehen. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen. Schon hält er die Schaufel in der Hand; und er wird seine Tenne reinigen und den Weizen in seine Scheune sammeln; die Spreu aber wird er in nie erlöschendem Feuer verbrennen.

Texterläuterung

"In jenen Tagen trat Johannes der Täufer auf": Das ist eine allgemeine biblische Zeitbestimmung und meint hier etwa das Jahr 27/28 n. Chr. Johannes war 33 bis 35 Jahre alt.

Die Wüste von Judäa ist der öde, zerklüftete Gebirgsabfall zum südlichen Jordangraben hinab, wo der Jordan ins Tote Meer einmündet, wahrscheinlich in der Nähe einer viel benutzten Jordanfurt.

Es fällt auf, dass Johannes der Täufer sein öffentliches Wirken mit den gleichen Worten wie Jesus begann. ()Mt 4, 17)

Das griechische Wort für "kehrt um" heißt "metanoé-ite". Das bedeutet umdenken, sich in ganzheitlichem Sinn neu orientieren, nocheinmalö neu begionnen. Der entsprechende hebräische Begriff ist "schub" und besagt: Umkehr zu Gott nicht nur im Denken, sondern in der ganzen Existenz.

"Himmelreich" ist gleichbedeutend mit "Reich Gottes" bzw. mit Gott. Anstatt der Formulierung "Reich Gottes", die Markus in seinem Evangelium verwendet, gebraucht der Verfasser des Matthäus-Evangeliums immer den Ausdruck Himmelreich (wörtlich: "Reich der Himmel". Das hängt mit der jüdischen Ehrfurcht vor dem Gottesnamen zusammen. Es sollte das Aussprechen des Gottesnamens vermieden werden.

Die Worte im Buch des Propheten Jesaja heißen korrekt: Eine Stimme ruft: In der Wüste bahnt den Weg des HERRN, ebnet in der Steppe eine Straße für unseren Gott! (Jes 40, 3) Dieses Bildwort geht davon aus, dass es damals noch kaum befestigte Straßen gab, sondern nur ausgetretene Wege, auf denen einer der Spur des anderen folgte. Der trockene und harte Boden Palästinas erlaubte den Verkehr mit Maultieren, Eseln, Kamelen und Karren auch ohne befestigte Straßen. Ursprünglich waren alle künstlich angelegten und befestigten Straßen von den Königen gebaut worden und auch ihnen allein vorbehalten. Sie hießen deshalb auch "Straßen des Königs". Wenn der König seine Straßen benutzte, wurden zuvor Boten (Rufer) in das betreffende Gebiet gesandt, um die dortigen Bewohner aufzufordern, die Straße auszubessern und in Ordnung zu bringen.

Der Mantel war das besondere Kleidungsstück eines Propheten. Johannes wird nach dem Vorbild des Propheten Elija gezeichnet, von dem es im 2. Buch der Könige heißt: Er trug einen Mantel aus Ziegenhaaren und hatte einen ledernen Gurt um die Hüften. (2 Kön 1, 8) Die Nahrung des Johannes weist auf seine asketische Lebensweise hin.

Die Pharisäer (hebr. peruschim, die Abgesonderten) waren eine theologische Ausrichtung im antiken Judentum. Sie bestanden während der Zeit des zweiten jüdischen Tempels (ca. 530 v. Chr. - 70 n. Chr.) und wurden danach als rabbinisches Judentum die einzige bedeutende überlebende jüdische religiöse Strömung. Sie vetraten eine veräußerlichte "Gesetzesreligion". Was die Schriftgelehrten als Willen Gottes aus dem Gesetz des Mose herauslasen und als das ungeschriebene Gesetz verkündeten, wurde von Pharisäern praktisch verwirklicht. Der Gruppe der Pharisäer konnte sich jeder anschließen, der ihrem Frömmigkeitsideal anhing, das sich bald als das jüdische durchsetzte. Im letzten Jahrhundert v. Chr. wurden die Pharisäer auch eine politische Partei.

Die Sadduzäer waren eine in Israel in der Zeit des zweiten jüdischen Tempels aktive Gruppe des religiösen Judentums. Viele von ihnen gehörten den höheren Gesellschaftsschichten und dem Priesteradel an. Pharisäer und Sadduzäer nennt der Verfasser des Matthäus-Evangeliums häufig gemeinsam. Damit hat er die zwei damaligen Hauptrichtungen der jüdischen Religion bezeichnet. Beide Gruppierungen fanden nicht zum Glauben an Jesus als den verheißenen Messias: die Pharisäer, weil ihre veräußerlichte Gesetzesreligion sie taub machte für den inneren Anruf Gottes; die Sadduzäer, weil ein Messias wie Jesus ihnen nicht ins politische Konzept passte. Die Ablehnung Jesu durch die religiösen Führer des auserwählten Volkes stellt der Verfasser des Matthäus-Evangeliums besonders heraus.

"dem kommenden Gericht": Wortgetreue Übersetzung: dem zukünftigen Zorn. Johannes meint den Zorn Gottes.

Religiöse Juden waren damals überzeugt, dass Abrahams Glaube so einzigartig gewesen und bei Gott in so hoher Gunst gestanden sei, dass seine Verdienste nicht nur ihm, sondern allen seinen Nachkommen zugute kämen. Johannes der Täufer warnte sie vor falscher Heilsgewissheit.

"Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen": Mit diesen bildhaften Umschreibungen kündigt Johannes das Strafgericht Gottes an über die, die nicht umkehren von ihrem Leben, das nicht dem Willen Gottes entspricht. Die Passiv-Formulierungen "die Axt ist an die Wurzel der Bäume gelegt", "jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen" weisen darauf hin, dass Gott der Handelnde ist.

Das griechische Wort für "taufen" hat die Grundbedeutung "untertauchen", "eintauchen". Das deutsche Wort "taufen" kommt vom Althochdeutschen "taufa", es ist verwandt mit dem Wort "tief" und hat auch die Grundbedeutung "untertauchen".

Die Symbolik des Wassers ist universell. Wasser gilt als Quelle des Lebens und Mittel der Reinigung und Läuterung. Rituelle Waschungen waren im Altertum wohlbekannt und wurden am Nil in Ägypten, am Eufrat in Mesopotamien und am Ganges in Indien praktiziert. In Israel zur Zeit Jesu unterzogen sich die Pharisäer solchen Waschungen, aber auch die Essener, Angehörige einer religiösen Gemeinschaft, die fern der übrigen Welt lebten. Menschen, die zum Judentum übertreten wollten, wurden in Wasser getaucht als Zeichen der Reinigung von der Unreinheit, mit dem sie vom Standpunkt der jüdischen Religion behaftet waren. Johannes der Täufer taufte am Jordan, um die Menschen zu Umkehr ihres Lebens aufzurufen.

"Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen": Das bedeutet: Wer sich auf Jesus Christus taufen lässt, wird eingetaucht in göttliche Liebe und göttliches Leben.

Die mit Spreu und Grannen vermischten Getreidekörner waren nach dem Treten oder Dreschen der Getreideähren mit Spreu und Grannen vermischt. Sie mussten davon getrennt werden. Die gebräuchlichste Methode war das Worfeln. Zuerst wurde das Stroh weggeräumt. Dann wartete man auf Wind. Wenn er sich erhob, wurde das Gemisch von Körnern und Spreu mit einer langstieligen Holzschaufel bzw. Holzgabel gegen den Wind geworfen. Die Körner, die ja schwerer sind als die Spreu, fallen direkt zu Boden, die Spreu trägt der Wind ein Stück fort.

Gottes Wort bringt uns Hoffnung und Zukunft

In seinem freiwillig gewählten einfachen Lebensstil ist Johannes der Täufer für uns ein Lehrer. Denn einfach zu leben ist eine Grundvoraussetzung persönlicher Freiheit.

In der Gottesverkündigung aber wählen wir nicht Johannes den Täufer als unseren Lehrer, sondern Jesus. Johannes der Täufer hat verletzende Worte verwendet. Er hat gepoltert, drauflos geschimpft und mit dem harten, unbarmherzigen Strafgericht Gottes gedroht. Er hat Gott verkündet und den kommenden Messias Gottes angekündigt als einen Zornigen und Ungeduldigen, der nicht zuwartet, bis Menschen die rechten Wege erkennen und gehen, sondern der mit ihnen kurzen Prozess macht und sie austilgt.

Johannes der Täufer hat gedacht, dass der Messias seine Linie und seine Weise der Gottesverkündigung fortsetzen wird. Das Bild vom Messias aber, das er gemalt hat, hat Jesus von Nazareth mit seinem Reden und Handeln nicht bestätigt. Jesus ist ein ganz, ganz Anderer, als Johannes der Täufer ihn sich vorgestellt hat. Jesus entsprach nicht den Messiaserwartungen seiner Zeit.

Johannes der Täufer hat geglaubt, dass der Messias Gottes die Menschen nach menschenüblichen Mustern und Denkweisen einteilen wird in Gute und Böse. Dazu hat er den Vergleich mit der Spreu und dem Weizen verwendet. Er war überzeugt, dass der Messias den Guten ewigen Lohn schenken und die Bösen mit Vernichtung bestrafen wird, so wie der Bauer die Spreu vom Weizen trennt, dann den Weizen in seine Speicher bringt und die Spreu verbrennt. In seinen Worten klingt im Bild vom Weizen, der in die Scheune gebracht wird, der Himmelslohn für die Guten und im Bild von der Spreu, die im unauslöschlichen Feuer verbrannt wird, die Höllenstrafe für die Bösen an.

Hier taucht bei uns die Frage auf, ob der Messias Gottes alle heimbringt zum Ziel grenzenloser Freude und Glückseligkeit oder ob er Menschen in unendliche Verdammnis stößt.

Wir vertrauen auf Jesus, der weiß, dass Spreu und Weizen nicht quer durch die Reihen der Menschen, sondern quer durch die Herzen aller Menschen gehen. Wir vertrauen auf Jesus, den guten Hirten, der jedem seiner verirrten Schafe solange nachgeht, bis er es gefunden hat, es dann auf seine Schultern nimmt und heimträgt zu seiner Herde. Wir vertrauen auf Jesus, den guten Vater, der seinen weggelaufenen Sohn nicht aufgibt, sondern sehnsuchtsvoll nach ihm Ausschau hält und mit ihm das Fest des neu gefundenen Lebens feiert, als er zurückkommt. Wir vertrauen auf Jesus, der am Kreuz dem neben ihm gekreuzigten Verbrecher das Paradies verheißt, als der sich dafür öffnet. Wir vertrauen, dass Jesu Geist heilender Geist ist, der die Herzen aller Menschen ausheilt, bis sie heil sind, das heißt, bis sie ganz sind.

Wir können uns schwer vorstellen, dass wir glücklich sein könnten, wenn wir wissen, dass andere für immer und ewig zum Unglücklich sein verurteilt sind. Könnten Mütter oder Väter im Himmel glückselige Freude empfinden, wenn ihre Kinder in der Hölle leiden müssen? Könnten Kinder die Freuden der Himmelsherrlichkeit genießen, wenn ihre Mutter oder ihr Vater in der Hölle unaufhörlich gequält und gepeinigt werden?

Das ist unsere Überzeugung: Wer es für richtig findet oder sogar als Genugtuung und Befriedigung erfährt, dass Menschen von Gott endgültig verstoßen und verdammt werden, hat selber noch viel Heilung nötig.