In dieser Welt - nicht von dieser Welt
Text: Johannesevangelium 17, 6a.11b–19 - Einheitsübersetzung neu
6a Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. 11b Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind wie wir! 12 Solange ich bei ihnen war, bewahrte ich sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast. Und ich habe sie behütet und keiner von ihnen ging verloren, außer dem Sohn des Verderbens, damit sich die Schrift erfüllte. 13 Aber jetzt komme ich zu dir und rede dies noch in der Welt, damit sie meine Freude in Fülle in sich haben. 14 Ich habe ihnen dein Wort gegeben und die Welt hat sie gehasst, weil sie nicht von der Welt sind, wie auch ich nicht von der Welt bin. 15 Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst. 16 Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin. 17 Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist Wahrheit. 18 Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt. 19 Und ich heilige mich für sie, damit auch sie in der Wahrheit geheiligt sind.
Gottes Wort bringt uns Hoffnung und Zukunft
Jesus, du hast der Welt den Namen deines Abba-Gottes bekannt gemacht? Was meinst du mit dem Namen?
Jesus:
Name ist ein anderes Wort für Wesen. Mit meiner Person, mit meinem Leben, Reden und Tun habe ich der Welt verkündet, wie mein Abba-Gott ist, was sein Wesen ausmacht. Mein Abba-Gott ist unendliche Güte, grenzenlose Warmherzigkeit, unbegrenzte Sanftmütigkeit, unermessliche Zärtlichkeit, voraussetzungs- und bedingungslose Liebe, unerschöpfliche Gnade, vollendeter Frieden. Mein Abba-Gott bewahrt die Welt, die ganze Welt ohne Ausnahme in seinem gütigen, warmherzigen, sanftmütigen, zärtlichen, liebenden, gnaden- und friedvollen Wesen. Das heißt, er hält und erhält sie, er umgibt und behütet sie, er legt seine Hand schützend über sie und lässt niemanden und nichts verloren gehen.
Jesus, du sagst, dass dein Abba-Gott keinen verloren gehen lässt. In diesem Evangelium jedoch ist davon die Rede, dass er den Sohn des Verderbens verloren gehen ließ.
Jesus:
„Sohn des Verderbens” kommt im Wortschatz meines Abba-Gottes nicht vor. Das ist ein rein menschlicher Ausdruck, den mir der Verfasser des Evangeliums in den
Mund gelegt hat. Er meint damit meinen Schüler und Freund Judas Ischariot. Judas stand mir sehr nahe. Er setzte große Erwartungen in mich, dass ich Israel aus der
römischen Fremdherrschaft befreien und Israel neu aufrichten werde. Er hatte die Vorstellung von einem politischen Messias mit Macht und Gewalt. Dieses Messiasbild teilte
Judas mit meinem Schülerkreis und mit unseren religiösen Landsleuten in Israel. Judas hoffte bis zuletzt, dass ich im Sinn eines weltlichen Herrschers auftreten
werde.
Die Verfasser der Evangelien zeichnen aus Gründen, auf die ich hier nicht eingehe, ein negatives Bild von Judas, das der Wirklichkeit nicht entspricht. Sie überliefern
ihn als Verräter, der mich für 30 Silbermünzen ausgeliefert und mit einem Kuss verraten hat. Es stimmt, dass mich Judas im Garten Gethsemane geküsst hat,
aber nicht um mich zu verraten, sondern um mich zu bewegen, mich endlich als Messias im politischen Sinn erkennen zu geben. Sein Kuss war der Messias-Kuss.
Judas setzte seine ganze Hoffnung auf mich. Als er mich sterben sah, ist seine Hoffnung zusammengebrochen. Er sah keine Zukunft mehr für sich und setzte seinem Leben ein
tragisches Ende.
Ein Bildhauer hat in der Kathedrale St. Madeleine in Vézelay in Frankreich ein Säulenkapitell geschaffen, das auf der einen Seite den erhängten Judas darstellt. Die andere Seite veranschaulicht mich mit dem Leichnam des Judas auf meinen Schultern. Genauso wie ein Hirt ein Schaf trägt, so trage ich Judas. Eine treffende Darstellung: Ich lasse Judas, der sich verirrt hat, nicht verlorengehen, sondern gehe ihm nach und trage ihn heim, damit er dort ist, wo ich bin.
Jesus, dieses Evangelium spricht von „nicht von der Welt sein”. Was bedeutet in diesem Zusammenhang der Begriff „Welt”?
Jesus:
Ich bezeichne sie nicht als böse Welt, auch nicht als gottlose Welt. Für mich gibt es weder eine böse noch eine gottlose Welt. Es ist die Welt, der mein
Abba-Gott aus welchen Gründen auch immer noch fremd ist. Sie weiß noch nichts von seiner voraussetzungs- und bedingungslosen Liebe, von der sie die Erfüllung
des Lebens erwarten darf. Sie hat das Schöne, Große und Gute noch nicht erfahren, das Gott für sie bereitet hat. Darum sucht sie das ganze Glück in allen
möglichen und unmöglichen Dingen und Freuden dieser Welt und findet es nicht. Deshalb braucht sie immer mehr und ihre Sehnsucht kommt nicht zur Ruhe.
In dieser Welt, aber nicht von dieser Welt sein heißt, in dieser Welt zu leben und zugleich Bürger einer anderen Welt zu sein, Bürger und Zeuge der Welt Gottes,
des Reiches Gottes zu sein. Reich Gottes ist meine Bezeichnung für ein anderes Leben, für andere Werte und Wertmaßstäbe, die das Leben wahrhaft glücklich
und erfüllt machen.
Ich habe euch und der Welt das Reich Gottes vorgelebt und gezeigt. Wer mir begegnet ist, hat das Reich Gottes erfahren. Ja, erfahren! Nur davon gesagt zu bekommen, bloß
davon zu hören reicht nicht, Menschen brauchen Erfahrungen, sie müssen Gott erfahren. Nicht Worte, sondern Erfahrungen überzeugen.
Wenn ihr von mir das Reich Gottes lernt und euer Leben nach seinen Werten und Wertmaßstäben ausrichtet, dann werden Menschen durch euch Erfahrungen machen, wie
schön, wie gut und wie beglückend dieses andere Leben ist, das ich Reich Gottes nenne.