Licht ins Dunkle

Text: Lukasevangelium 2, 1-14 - Einheitsübersetzung neu

1 Es geschah aber in jenen Tagen, dass Kaiser Augustus den Befehl erließ, den ganzen Erdkreis in Steuerlisten einzutragen. 2 Diese Aufzeichnung war die erste; damals war Quirinius Statthalter von Syrien. 3 Da ging jeder in seine Stadt, um sich eintragen zu lassen. 4 So zog auch Josef von der Stadt Nazaret in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heißt; denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids. 5 Er wollte sich eintragen lassen mit Maria, seiner Verlobten, die ein Kind erwartete. 6 Es geschah, als sie dort waren, da erfüllten sich die Tage, dass sie gebären sollte, 7 und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war. 8 In dieser Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde. 9 Da trat ein Engel des Herrn zu ihnen und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie und sie fürchteten sich sehr. 10 Der Engel sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: 11 Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr. 12 Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt. 13 Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer, das Gott lobte und sprach: 14 Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens.

Texterläuterung

Die christliche Zeitrechnung geht auf den Mönch Dionysius Exiguus (ca. 470 - 540 n. Chr.) zurück. Er hat sich nachweislich um 4 - 5 Jahre verrechnet. Demnach ist Jesus von Nazareth nach unserer Zeitrechnung nicht im Jahr der Zeitenwende, sondern etliche Jahre zuvor geboren. Es ist geschichtlich gesichert, dass König Herodes der Große im Jahr 4 v. Chr. starb. Das Matthäus-Evangelium erzählt den Kindermord von Bethlehem, den Herodes angeordnet hat, um Jesus zu töten. (Mt 2, 16-18). Folglich muss Jesus im Jahr 4 v. Chr. schon gelebt haben.

Lukas erzählt, darum leitet er mit großer Vorliebe mit dem griechischen Wort "egéneto" ein (= es geschah, es begab sich, es ereignete sich). Überhaupt ist Lukas ein Meister des Erzählens.

Geschichtlich gesichert ist, dass der jüdische König Herodes der Große (geboren um das Jahr 73 v. Chr.; gestorben 4 v. Chr.) in seinem Herrschaftsbereich die Steuerhoheit innehatte. Wozu hätten da die Römer zur Steuererhebung eine Volkszählung durchgeführt? Nach dem Tod von Herodes dem Großen wurde sein Königreich unter seine drei Söhne aufgeteilt. Judäa (= Jerusalem mit Umland) fiel seinem Sohn Archélaus zu. Archélaus wurde im Jahre 6 n. Chr. von Kaiser Augustus abgesetzt und an seiner Stelle ein römischer Präfekt zur Verwaltung Judäas eingesetzt. Da war Jesus schon mindestens zehn Jahre alt. Zu dieser Zeit entschied Augustus, von den Bewohnern Judäas Steuern einzuheben. Zum Zweck der Festsetzung der Steuern ließ er in Judäa eine Volkszählung durchführen. Von dieser Volkszählung unter dem Statthalter Quirinius im Jahr 6 n.Chr. berichtet der jüdische Geschichtsschreiber Josephus Flavius. Jesus ist um das Jahr 6 v. Chr. geboren. Zu dieser Zeit war Quirinius jedoch noch nicht Statthalter von Syrien. Geschichtlich bestätigt ist, dass Jesus während der Regierungszeit von Herodes dem Großen und dem römischen Kaiser Augustus geboren ist. Die Volkszählung, von der Lukas hier spricht, hat entweder nicht stattgefunden oder sie hat stattgefunden und wird in außerbiblischen Quellen nicht erwähnt. Es gibt keine außerbiblischen, geschichtlichen Hinweise auf eine Volkszählung zur Zeit der Geburt Jesu, weder auf eine im gesamten Römischen Reich noch auf eine in Judäa unter Quirinius, dem kaiserlichen Statthalter der römischen Provinz Syria.

Den Verfassern der Evangelien geht es um Geschichte im Sinne von HEILSGESCHICHTE. Sie verkündigen das Evangelium (= Freudenbotschaft, Heilsbotschaft, Liebesbotschaft, Hoffnungsbotschaft, Trostbotschaft Gottes). Die Evangelien sind Zeugnisse von Menschen, die zutiefst überzeugt waren: JESUS VON NAZARETH IST DER MESSIAS GOTTES, DER HEILBRINGER, DER RETTER UND ERLöSER DER WELT. Weil sie primär keine historischen Dokumente sind, kann es durchaus vorkommen, in den Evangelien Angaben (z. B. Zeit- oder Ortsangaben) zu finden, die (z. B. historisch oder geografisch) ungenau sind.

Lukas führt in seiner Erzählung von der Geburt Jesu den römischen Kaiser Augustus, den kaiserlichen Statthalter Quirinius und die Volkszählung im gesamten römischen Reich an. Lukas will damit das Christusgeschehen einordnen in die große Weltgeschichte. Lukas will verkünden: Nicht der römische Kaiser ist der Menschgewordene Sohn Gottes, der Friedenskönig und Heiland und Retter der Welt, so wie viele Menschen im Römischen Reich gedacht und geglaubt haben, sondern Jesus von Nazareth. Jesus ist der Sohn Davids, den das jüdische Volk als Messias Gottes erwartet hat. Schon zu seinen Lebzeiten ließ sich Kaiser Augustus als Göttlicher verehren. Das drückte sich allein schon in seinem Titel aus: "Imperator Caesar Divi filius Augustus". Das heißt übersetzt: Imperator Cäsar, Sohn des Göttlichen, der Erhabene. Nach seinem Tod wurde er zum Gott erhoben. Danach wurde sein offizieller Name als "Divus Augustus divi filius" (= Göttlicher Erhabener, Sohn des Göttlichen) weitergeführt. Bei seinen Nachfolgern war es ebenso.

Lukas war wichtig, die Abstammung von Jesus auf König David zurückzuführen. Denn in der jüdischen Religion war die Überzeugung verankert, der Messias werde ein Nachkomme Davids sein und in der Davidsstadt Bethlehem geboren werden. Im Buch des alttestamentlichen Propheten Micha (er hat gelebt ungefähr 750 - 700 v. Chr.) heißt es: "Aber du, Bethlehem-Efrata, so klein unter den Gauen Judas, aus dir wird mir einer hervorgehen, der über Israel herrschen soll. Sein Ursprung liegt in ferner Vorzeit, in längst vergangenen Tagen." (Mi 5, 1)

Nazareth und Bethlehem waren damals keine Städte in unserem Sinn. Nazareth, in Untergaliläa, etwa 100 km Luftlinie nördlich von Jerusalem, in einem Talkessel (343 m hoch) am Fuß des Nebi Sain (488 m) gelegen, war damals ein unbekanntes und abseits der Verkehrsstraßen liegendes Dorf. Weil David nicht seinen Geburtsort, sondern Jerusalem zum Regierungssitz erhob, ist Bethlehem (8 km südlich von Jerusalem, 777 m Seehöhe) damals ein unbedeutender Ort geblieben. Lukas hat die beiden Orte in den Rang einer Stadt (griechisch: pólis) erhoben, um ihnen größere Bedeutung und höheres Ansehen zu geben. Denn Lukas schrieb sein Evangelium nicht für Christen, die vorher der jüdischen Religion angehörten, sondern für Christen aus nichtjüdischen Völkern (z. B. für Griechen und Römer), für die eine "pólis" als bedeutsamer Ort galt.

Rechtlich galt in Israel damals die Verlobte bereits als Ehefrau. Wie Textzeugnisse aus Ägypten belegen, mussten bei Volkszählungen auch die Ehefrauen ihre Männer in die Stadt begleiten, wo ihre Vorfahren beheimatet waren.

Vermutlich hielten sich Josef und Maria in Bethlehem länger auf.

Der Erstgeborene besagt nicht unbedingt, dass die Familie mehrere Kinder hat, sondern ist biblische Ausdrucksweise für "gottgeweiht", falls es sich um die männliche Erstgeburt der Frau handelt.

Die Krippe war ein unbeweglicher Futtertrog aus Stein oder ein in einen Fels gehauener Trog. Für Lukas ist das Kind Jesus in einem Futtertrog nicht so sehr ein Bild der Armut, sondern der Ohnmacht - im Kontrast zum mächtigen Kaiser Augustus.

Die Herbergen damals waren nicht gemütliche Gasthäuser wie bei uns heute, sondern entweder Privathäuser, in denen man Gastfreundschaft fand, oder öffentliche Khane (arabisch), Karawansereien (von persisch karwan = reisende Schar von Kaufleuten oder Pilgern, und seraj = Palast, Burg, Hof): manchmal nur ein ummauerter Hof, oft zerfallene Gebäude in Ortschaften oder auch an offener Strasse. Herberge (deutsch von: das Heer bergend); wenn man es gut traf, ein von frommen Leuten gestiftetes viereckiges Bauwerk mit Zimmern rund um Innenhöfe, mit Brunnen, Ställen und vielleicht einem "Herbergsvater".

Von einer lieblosen Zurückweisung Josefs und Marias durch Bewohner Bethlehems ist nicht die Rede.

Im Sommer und oft auch noch im Winter blieb das Weidevieh im Freien. Zum Schutz vor Dieben, wilden Tieren, und um das Vieh zusammenzuhalten, trieb man es für die Nacht in Pferche oder Hürden zusammen, in durch Mauerwerk, Steine oder Dornengestrüpp eingefasste Plätze, bei denen die Hirten dann in Zelten, Hütten aus Laubwerk oder auch festen Türmen Nachtwache hielten.

Hirten waren zur Zeit Jesu verachtete Leute. Man sagte ihnen Unehrlichkeit nach. Sie durften vor Gericht keine Zeugenaussagen machen. Nach Ansicht von Pharisäern waren sie vom messianischen Heil ausgeschlossen, weil sie aus beruflichen Gründen die Reinheitsvorschriften und Sabbatbestimmungen nicht einhalten konnten. Gerade sie waren die ersten, denen die Freude über die Geburt des Messias verkündet wurde.

"sie fürchteten sich sehr": wörtliche Übersetzung: sie fürchteten sich mit großer Furcht. Das ist eine Verdopplung, eine Verstärkung, um die Größe der Angst hervorzuheben. Gotteserfahrungen werden in der Bibel immer als "mysterium treméndum" und "mysterium fascinósum" dargestellt: sowohl erschreckend und beängstigend als auch zugleich faszinierend und anziehend.

"denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude": "siehe" bedeutet: schau genau auf das, was du jetzt siehst; gib gut acht, denn was du jetzt hörst, liest, ist von größter Bedeutung für dich.

"ich verkünde" (im griechischen Urtext: "eu-angelízomai") heißt in genauer Übersetzung "ich verkünde Freude", "ich bringe eine freudige Nachricht, eine gute Botschaft". Somit bedeutet "ich verkünde euch eine große Freude" eine Verdopplung, eine Verstärkung, um die Größe hervorzuheben: "ich verkünde euch übergroße Freude, Freude über Freude".

An sieben Stellen verwendet Lukas das Wort "Heute":

"Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt": Das bedeutet: Ihr werdet den Messias unter den Zeichen der Ohnmacht finden und nicht unter den Zeichen der Macht im Palast, mit Szepter, Reichtum und Luxus.

Gottes Wort ist für uns wie ein Stern in der Dunkelheit

Schon immer haben Völker und Menschengruppen Götter und Gottheiten verehrt. Die Vorstellungen und Bilder von ihren Göttern haben sie in mündlichen Erzählungen und schriftlichen Aufzeichnungen von Generation zu Generation weitergegeben.

Das alte Volk Israel hat im Laufe seiner langen Geschichte zum Glauben an den EINEN Gott gefunden. Die Israeliten gelangten zur Überzeugung, dass es unmöglich ist, sich von Gott ein richtiges Bild zu machen, weil Gott unser Erkenntnisvermögen unendlich übersteigt. Dennoch haben sie versucht, in ihren Schriften des Alten Testamentes das Wesen Gottes verständlich zu machen.

Immer gingen Menschen der Frage nach: Wie sind die Götter wirklich? Was ist das wahre Wesen des einen Gottes? Die Antworten blieben immer vage, ungewiss und im Dunklen. In den verschiedenen Religionen wurden menschliche allzu menschliche Charaktereigenschaften und Wesensmerkmale auf die Götter und auf den einen Gott übertragen.

Gerard van Honthorst, Anbetung der Hirten
Anbetung der Hirten

Als die Fülle der Zeit kam, wurde Gott Mensch. Im Menschen Jesus von Nazareth hat Gott der Welt sein wahres Wesen offenbar gemacht. Er ist das authentische, unverhüllte Bild Gottes. Er hat Licht ins Dunkle gebracht. In Jesus leuchtet die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes auf. Alle dunklen, düsteren und beängstigenden Bilder von Gott kommen bei Jesus an ihr Ende. In seinem Reden und Handeln, in seinem Leben und Sterben und in seiner Auferstehung hat Jesus Gott sichtbar und erfahrbar gemacht als den, der zu allen seinen Geschöpfen bedingungslos Ja sagt, sie annimmt, wie sie sind, und sie niemals verloren gehen lässt.

Jesus hat Gott Vater genannt, Abba, lieber Vater, der für seine gesamte Schöpfung ein unendlich weiches, warmes und einfühlsames Herz hat. Ein Herz, das sich berühren lässt von den Fragen und Sehnsüchten der Menschen, von ihren Freuden und Leiden, von ihren Sorgen, Ängsten und Nöten. Wer Jesus sieht und erkennt, sieht und erkennt seinen Abba und den Abba aller Geschöpfe.

Jesus war kein Übermensch, sondern wahrhaft Mensch wie wir. Er wurde geboren und ist aufgewachsen. Er hat gelernt. Er hat die hellen und dunklen Seiten des Lebens und der Welt kennengelernt. Er hat die Freuden und Mühen des alltäglichen Lebens erfahren. Er war Schmerzen und Krankheiten ausgesetzt. Er hat gelitten. Er ist gestorben.

In seinem Brief an die ChristInnen in der Stadt Philippi im alten Griechenland schreibt Paulus: Jesus war Gott gleich. Aber er hielt nicht daran fest, wie Gott zu sein. Er gab sich preis und machte sich klein und wurde wie ein Sklave, wie ein Diener. Er wurde den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen.

In Jesus ist Gott erschienen als der, der nicht von oben herab regiert und sich bedienen lässt, sondern sich erniedrigt und dienend für seine Geschöpfe da ist.

Jesus stellt uns Gott vor als den, vor dem wir nicht im Geringsten Angst haben müssen, sondern bei dem wir in unserer Angst und Not Schutz suchen und uns bergen können.

In Jesus zeigt uns Gott, was Menschen möglich ist, was Menschen zu lernen fähig sind, wie Menschen wachsen und reifen können.

Jesus lehrt das Reich Gottes, das ist das Leben, das den Wertmaßstäben Gottes entspricht. Reich Gottes, das ist das gelingende Leben, das wahre Leben, die Fülle des Lebens. Jesu Weg zum Reich Gottes ist nicht graue Theorie, sondern sein Leben. Seine Lehre besteht nicht aus abstrakten, akademischen Begriffen und Sätzen, sondern in seinem Leben. Durch sein Leben vermittelt er uns, was wir lernen müssen, damit wir das letzte große Ziel, die volle Glückseligkeit, nicht verfehlen.