Los-lassen statt Ver-lassen

Text: Lukasevangelium 18, 31–34 - Übersetzung: Elberfelder Bibel

28 Petrus aber sprach: Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt. 29 Er aber sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder verlassen hat um des Reiches Gottes willen, 30 der nicht Vielfältiges empfangen wird in dieser Zeit und in dem kommenden Zeitalter ewiges Leben.

Gottes Wort bringt Hoffnung und Zukunft

Niemals hat Jesus von jemandem, den er berief mit ihm zu gehen, erwartet oder verlangt, sich von seiner Familie zu trennen, seine Liebe zur Ehefrau und zu den Kindern zu beenden und sich nicht mehr um deren Unterhalt zu kümmern. Für damalige Verhältnisse hätte das für die verlassene Frau und die Kinder unweigerlich den Sturz in die Armut bedeutet. Sie wären gleichsam zu lebenden Toten geworden. Niemals hat Jesus von jemandem, den er in seinen Schülerkreis aufnahm, gefordert, seine alten Eltern im Stich zu lassen. Altersversorgung war Aufgabe der Kinder. In jenen Tagen gab es keine Sozial- und Pensionssysteme wie bei uns heute. Niemals hätte Jesus jemanden bedrängt, um seinetwillen den Kontakt zu seinen Geschwistern und Verwandten abzubrechen. Das ist unsere Überzeugung.

Oft wurde und wird das Verlassen von Frau, Kindern, Eltern und Geschwistern um des Himmelreiches willen missverstanden als besonderes religiöses Verdienst, das von Gott vergolten wird. Das Leistung-Lohnschema gibt es nur bei Menschen, nicht bei Gott. Gott schenkt seine Liebe voraussetzungs- und bedingungslos. Alles ist für uns Gnade = Gottes Geschenk.

'Wir haben alles verlassen und sind mit dir gegangen', sagt Petrus im Namen des Schülerkreises zu Jesus. 'Verlassen' hat hier mit Sicherheit nicht die Bedeutung 'Fortgehen und Sich um Angehörige, die einem anvertraut sind, nicht mehr kümmern'. Wir verstehen unter dem Verlassen um des Reiches Gottes willen, von dem hier die Rede ist, Loslassen. Loslassen ist das Gegenteil von Besitzen, Festhalten, Klammern, ist das Gegenteil von 'jemand oder etwas gehört mir, ist mein Eigentum'.

Gott ist Liebe. Liebe hält nicht fest, beherrscht nicht, übt nicht Macht aus, verfügt nicht nach Willkür. Liebe lässt los. Liebe lässt frei. Wir sind nicht Sklaven Gottes, sondern seine grenzenlos geliebten Kinder. So hat Jesus von Nazareth Gott verkündet. So wie Gott hat Jesus gehandelt. Das haben Jesu SchülerInnen von ihm gelernt und diese Weisheit weitergegeben.

Loslassen im Sinne Jesu bedeutet auch: Ich hänge nicht an Äußerlichkeiten. Ich lasse mich nicht von äußeren Ansprüchen anderer fremdbestimmen. In einer Welt des Habenmüssens, des Konsumzwangs, des Rennens und Hastens nach Besitz und Reichtum nehme ich für mich nur das, was ich wirklich zum Leben brauche. Ich lasse meinen Drang nach Macht und Kontrolle los. Ich lasse meinen Drang nach Beifall, Wertschätzung, Bestätigung und Vergnügen los. Ich lasse meinen Drang nach Überleben und Sicherheit los. Ich lasse meinen Drang los, irgendeine Situation, Bedingung, Person oder mich selbst zu ändern.

Loslassen lernen
Loslassen lernen

Das ist für uns der Sukkus (= das Wesentliche, die Essenz) dieses Evangeliums: Loslassen lernen bringt Segen. Das heißt: Es hat positive Auswirkungen auf unser persönliches Leben. Es bringt uns Leichtigkeit, Gelassenheit, Unberschwertheit und bleibende Lebensfreude. Und es hat positive Auswirkungen auf unser Zusammenleben mit anderen. Es hat gütiges, menschenfreundliches, barmherziges, versöhntes, sanftmütiges, gewaltfreies, friedvolles, einfühlendes und verstehendes Miteinander zur Folge.