Vor Mitleid zerfließen hilft nicht

Text: Markusevangelium 6, 30-34 - Einheitsübersetzung neu

30 Die Apostel versammelten sich wieder bei Jesus und berichteten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten. 31 Da sagte er zu ihnen: Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus! Denn sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen, so zahlreich waren die Leute, die kamen und gingen. 32 Sie fuhren also mit dem Boot in eine einsame Gegend, um allein zu sein. 33 Aber man sah sie abfahren und viele erfuhren davon; sie liefen zu Fuß aus allen Städten dorthin und kamen noch vor ihnen an. 34 Als er ausstieg, sah er die vielen Menschen und hatte Mitleid mit ihnen; denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er lehrte sie lange.

Gottes Wort gibt uns Trost und Zukunft

Jesus, das Evangelium erzählt: Menschen sind dir in Scharen nachgegangen, nicht einmal Zeit zum Essen und Ausruhen haben sie dir gelassen. Worauf führst du das große Interesse und die Begeisterung vieler Menschen an deiner Person zurück?

Jesus:

Die Antwort gibt das Evangelium mit dem griechischen Ausdruck „esplanchnísthe”, hier übersetzt mit „er hatte Mitleid”. Diese Übersetzung entspricht nicht dem, was der Verfasser des Evangeliums mit diesem Begriff über mich sagen will. Vor Mitleid zerfließen hilft nicht, wie eine Ärztin auf einer Krebsstation richtig sagt: „Es nützt meinen Patienten nichts, wenn ich mit ihnen mitleide; ich bin dazu da, ihnen zu helfen und sie zu unterstützen.” Oder wie ein Mensch mit Beeinträchtigungen sich nachdrücklich und bestimmt an Personen wendet, die ihm mit Mitleid begegnen: „Euer Mitleid finde ich widerlich, es stoßt mich ab, euer aufgedrängtes Mitleid tut mir weh.” Bemitleiden bleibt meist beim kurzzeitigen Bedauern und einem „Kopf hoch, wird schon wieder!” im Vorbeigehen. Mitleid ist oft Selbstmitleid und zeigt, dass jemand die Situation eines anderen schwer aushalten und nicht damit umgehen kann. Der Begriff „esplanchnísthe” bedeutet in angemessener Übersetzung: es fuhr ihm in seine Eingeweide, in sein Inneres, es ging ihm unter die Haut, es berührte ihn in seinem Herz, es ließ ihn nicht kalt, es bewegte ihn zutiefst, es löste starkes Einfühlen in ihm aus. Einfühlen ist etwas anderes als Mitleid. Einfühlen ist auf Menschen eingehen, sich in sie hineindenken, hinein fühlen, in sie hinein spüren, sich in jemandes Gedanken und Gefühle hineinversetzen, nachempfinden, wie es jemandem geht, jemanden verstehen. Das entsprechende Fremdwort heißt Empathie. Empathie bedeutet Einfühlungsvermögen, Einfühlungsgabe, Einfühlungskraft, Feingefühl, Fingerspitzengefühl, Teilnahme, Verständnis, Zartgefühl. Es handelt sich um die Fähigkeit und die Bereitschaft, sich hörend und verstehend in einen Menschen einzufühlen. Einfühlen ist viel mehr Hören als Reden und Raten. Einfühlen ist hilfreich und tut gut. Menschen zu begegnen, die sich einfühlen können, ist eine Bereicherung. Einfühlen schafft Aufheiterung, Aufmunterung, Aufrichtung, Beruhigung, Erleichterung, Linderung und Trost. Einfühlen ist einfallsreich und schöpferisch. Ich habe Menschen nicht bemitleidet, nicht vorbeigehend bedauert und ihnen keine schönen Reden gehalten, sondern habe mich tief eingefühlt in ihre alltäglichen Freuden und Hoffnungen, in ihre Höhen und Tiefen, in ihre Abgründe, in ihre Sorgen und Ängste, Fragen und Sehnsüchte, Schwierigkeiten und Nöte, in ihre Traurigkeit und ihr Leid. Ich habe vom dreieinen Gott nicht in wissenschaftlicher, theologischer Gelehrtheit gesprochen. Ich habe mich nicht in Bibliotheken aufgehalten und hatte meine Weisheit nicht aus Fachbüchern. Den dreieinen Gott habe ich nicht an den Fragen der Menschen vorbei verkündet, sondern habe mit meiner Botschaft, meinem Wirken und meiner Nähe zu den Menschen gezeigt: Er ist dir nahe, versteht dich und nimmt dich ernst, dein Leben und dein Befinden fahren ihm bildhaft in seine Eingeweide, in sein Inneres, gehen ihm unter die Haut, berühren ihn in seinem Herz, lassen ihn nicht kalt, bewegen ihn zutiefst, lösen starkes Einfühlen in ihm aus. Meine Empathie war der Grund, warum Menschen mir scharenweise nachgegangen sind und mich gesucht haben. Menschen mit Empathie sind überall und zu jeder Zeit gefragt und gesucht. Ich habe Menschen gegeben, wonach sie sich sehnen: VERSTANDEN UND ERNSTGENOMMEN WERDEN.

Jesus, können wir deinen einfühlenden Umgang mit Menschen Beispiel und Vorbild für jeden Seelsorger und jede Seelsorgerin bezeichnen?

Jesus:

Ja, dem stimme ich zu.

Jesus, schenkst du uns auch heute deine göttliche Empathie?

Jesus:

Immer bin ich bei euch. Näher bin ich euch, als ihr euch selber nahe seid. Ich bin in euch. Jederzeit könnt ihr euch mit euren Freuden und Hoffnungen, mit euren alltäglichen Sorgen und Ängsten, mit euren Fragen und Sehnsüchten, mit euren Schwierigkeiten und Nöten, in Traurigkeit und Leid an mich wenden.

Danke, Jesus. Wir loben und preisen dich.