Die Geschichte von der unfruchtbaren Rebe
Text: Johannesevangelium 15, 1–8 - Einheitsübersetzung neu
1 Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Winzer. 2 Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab und jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt. 3 Ihr seid schon rein kraft des Wortes, das ich zu euch gesagt habe. 4 Bleibt in mir und ich bleibe in euch. Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so auch ihr, wenn ihr nicht in mir bleibt. 5 Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen. 6 Wer nicht in mir bleibt, wird wie die Rebe weggeworfen und er verdorrt. Man sammelt die Reben, wirft sie ins Feuer und sie verbrennen. 7 Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr wollt: Ihr werdet es erhalten. 8 Mein Vater wird dadurch verherrlicht, dass ihr reiche Frucht bringt und meine Jünger werdet.
Gottes Wort gibt uns Trost und Halt in Bedrängnis, Not und Ängsten
Jesus, das Bild vom Weinstock beziehst du auf dich und mit dem Bild von den Reben meinst du uns. Wir können nicht glauben, dass du die Metapher vom Abschneiden, Wegwerfen und Verbrennen unfruchtbarer Reben verwendet und auf deinen Vater bezogen hast, zu dem du Abba, Papa, lieber Vati sagst. Wir können nicht glauben, dass dein Abba-Gott der unendlich Liebende und zugleich der Vernichtende, der Leben Schaffende und zugleich der Leben Zerstörende ist. Das wäre ein Widerspruch.
Jesus:
Dieses Gleichnis habe ich so nicht erzählt. Das Bild vom Abschneiden der unfruchtbaren Reben in diesem Gleichnis wurde mir später in den Mund gelegt. Es
stammt von Menschen, die glauben, dass Gott alle Menschen ausrottet, die seinen Erwartungen nicht entsprechen und seinen Gesetzen und Geboten nicht gerecht werden.
Hört eine Geschichte.
„Eines Tages sagte eine unfruchtbare Rebe: 'Unfruchtbare Rebe' nennen mich die Menschen. Spätestens bei der Weinlese im Herbst wird mich der Weingärtner
vom Weinstock abschneiden, und dann lande ich im Abfall. 'Sie ist vertrocknet, dürr', sagen die Menschen, 'sie gehört entfernt, denn sie bringt uns keinen
Nutzen und keinen Ertrag und nimmt den fruchtbaren Reben das Wasser weg.' Keiner fragt, was mit mir geschehen ist, was mir gefehlt hat und warum ich so geworden bin:
unfruchtbar und verdorrt. Niemand kümmert sich um mein Schicksal und mein Leid. Frost könnte mich umgebracht haben, als ich in Blüte stand. Im Schatten anderer
Reben könnte ich gewesen sein und zu wenig Sonnenlicht bekommen haben. Trockenheit könnte mich und andere Reben eingehen haben lassen. Ich war ein glückliches,
frohes Rebenkind. Ich hatte Freude an meinem Leben und an meinem Wachstum, an Sonnenlicht und Regen. Als junge Rebe träumte ich davon, fruchtbar zu werden und viele
große, schöne Trauben hervorzubringen. Eines Tages aber ging mein Traum jäh zu Ende. Ein heftiger Sturm fegte über das Land und verschonte auch mich nicht.
Ich verspürte einen großen Schmerz. Und schon war es um mich geschehen. Der starke Wind hat mich geknickt und mein Leben plötzlich beendet.”
Meinem Abba-Gott geht das Los der unfruchtbaren Rebe zu Herzen. Es berührt ihn zutiefst. Niemals würde er etwas von dem, was er geschaffen und am Schöpfungsmorgen
als sehr gut bezeichnet hat, hinterher vertilgen. Nicht abschneiden, sondern heilen wird er die unfruchtbare Rebe.
Treffend schreibt mein Schüler Paulus in seinem Brief an die Christinnen und Christen in Rom und überall auf der ganzen Welt: 'Ich bin gewiss: Weder Tod noch
Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns
scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist.'
Mein Abba-Gott bringt Leben hervor und lässt es leben. Was er ins Dasein ruft, nimmt er nie mehr weg. Er trennt sich niemals von dem, was er geschaffen hat. Denn er ist
und bleibt in allem, und alles ist und bleibt in ihm. Ausmerzen, zerstören und vernichten, das tun Menschen. Mein Abba-Gott aber macht heil. Heil ist ein anderes Wort
für ganz. Mein Abba-Gott ist ein heilender, ein ganzmachender Gott.
Was Menschen als unfruchtbar, böse, verwerflich und sündhaft bezeichnen, sind die dunklen Seiten, die Schattenseiten im Menschen. Sie sind Teile vom Menschen. Sie
lassen sich gar nicht beseitigen, denn sie gehören zu ihm. Anstatt sie zu verdrängen und abzuspalten, anstatt sie zu bekämpfen und zu vernichten, gilt es, sie zu
erkennen, sie anzunehmen, sie ins Leben zu integrieren und zu lieben. Dann werden sie sich als Schätze erweisen und dem Menschen dienen.
Jesus, in diesem Gleichnis sagst du: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.”
Jesus:
So wie die Reben die ständige Verbindung mit dem Weinstock brauchen, um leben und Frucht tragen und bringen zu können, braucht ihr das Eins sein mit mir, damit
euer Leben gelingen kann. Ich bin für euch die Quelle der Kraft, die Quelle der Freude, die Quelle des Glücks, die Quelle des Friedens, die Quelle des Trostes, die
Quelle der Liebe, die Quelle der Güte, die Quelle der Freundlichkeit, die Quelle der Lebensfülle. Die unerschöpfliche Quelle bin ich für euch.
Ich lade euch ein, aus mir Kraft, Freude, Glück, Frieden, Trost, Liebe, Güte, Freundlichkeit und Leben in Fülle zu schöpfen - gratis und ohne Ende.