Vor den Toren von Jericho

Text: Lukasevangelium 18, 35–43 - Übersetzung: Elberfelder Bibel

35 Es geschah aber, als er sich Jericho näherte, saß ein Blinder bettelnd am Weg. 36Und als er eine Volksmenge vorbeiziehen hörte, erkundigte er sich, was das sei. 37 Sie verkündeten ihm aber, dass Jesus, der Nazoräer, vorübergehe. 38 Und er rief und sprach: Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner! 39 Und die Vorangehenden bedrohten ihn, dass er schweigen sollte; er aber schrie umso mehr: Sohn Davids, erbarme dich meiner! 40 Jesus aber blieb stehen und befahl, ihn zu ihm zu bringen. Als er sich aber näherte, fragte er ihn: 41 Was willst du, dass ich dir tun soll? Er aber sprach: Herr, dass ich sehend werde! 42 Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend! Dein Glaube hat dich geheilt. 43 Und sofort wurde er sehend, folgte ihm nach und verherrlichte Gott. Und das ganze Volk, das es sah, gab Gott Lob.

Gottes Wort ist Befreiungsbotschaft für uns

Mit dem Titel 'Vor den Toren von Jericho' haben wir ein Bibelhörspiel zu diesem Evangelientext gehört.

In der langen Straße von Jericho hat Bartimäus seine Gerberwerkstatt. Dort lebt er mit Ruth, einer fröhlichen und hübschen Frau. Die Ehe bleibt kinderlos. Jahre vergehen. Die Arbeit, die Liebe seiner Frau und seine Freunde machen ihn glücklich und zufrieden. Eines Tages merkt er, dass seine Sehkraft schwindet. Die Krankheit schreitet unaufhaltsam voran. Ein paar Monate später schließen sich seine dunklen Augen für immer dem Licht. Bartimäus kann nicht mehr nähen und nicht mehr das Leder schneiden. Er kann sich auch nicht mehr der Traurigkeit und der Angst erwehren, die sich überall im Haus breit machen. Tagsüber sitzen sie mit ihm am Tisch und nachts liegen sie zwischen ihm und seiner Frau.

Eines Morgens ist Ruth weg. Heimlich hat sie ihn in der Nacht verlassen. Von ihrer Verwandten erfährt Bartimäus, dass sie zu einem anderen Mann gezogen ist. Sie ist noch jung und sieht für sich keine Zukunft mit einem Blinden.

Kurz darauf muss Bartimäus seine Werkstatt schließen. Die Blindheit raubt ihm alles, was er hatte: die Freude an der Arbeit und die Liebe seiner Frau. Allmählich lassen ihn auch die Freunde im Stich. Sie begegnen ihm anders als früher und haben nur noch unbeholfene Worte des Bedauerns für ihn.

Sein Leben ist in tiefe Nacht getaucht. Am Rande der Verzweiflung überlegt er, seinem Leben ein Ende zu bereiten. Er verflucht den Tag, an dem er geboren wurde. In seiner Not ruft er: 'Mein Gott, warum hast du mich das Licht sehen lassen, wenn du mich hernach blind machst!?'

Mitten in seiner Hilflosigkeit und seinen finsteren Todesgedanken spürt er plötzlich eine Kraft, die ihn aufrichtet und ihn sagen lässt: 'Ich will leben! Ich will leben!' Er rappelt sich wieder hoch und gewinnt neue Freude am Leben.

An der staubigen Straße vor den Toren von Jericho sitzt nun seit vielen Jahren Tag für Tag der blinde Bartimäus und bettelt um Almosen. Er ist noch nicht alt. Seine Hände umklammern einen schmierigen Stock. Sein Haus ist leer, er ist immer allein. Darum bleibt er gerne an der Straße. Da kommen viele Leute vorbei. Das bedeutet für ihn Teilnahme am Leben.

Eines Tages - Bartimäus sitzt wieder an der Straße - hört er, dass Jesus umgeben von einer Menschenmenge des Weges kommt. Bartimäus beginnt zu schreien: 'Ich will Jesus sehen! Ich will ihn sehen! Ich will ihn sehen!' Die Leute weisen ihn zurecht und sagen: 'Armer Kerl, hör auf zu schreien! Wie willst du ihn sehen, da du doch blind bist!' 'Dann soll er mich sehen!', schreit Bartimäus noch lauter.

Jesus überhört das Schreien des blinden Bartimäus nicht. Als Bartimäus vor Jesus steht, strahlt er vor Freude, wirft seinen Bettlermantel in die Luft und seinen Stock hinterher. 'Warum hast du mich gerufen? Willst du etwas von mir?', fragt ihn Jesus. 'Ja, darf ich dein Gesicht berühren?', fragt ihn Bartimäus. Jesus bleibt stehen und schließt für einen Augenblick die Augen. Bartimäus streckt Jesus seine Hände entgegen und berührt Jesu Wangen, die Stirn, die Nase, die Umrisse seiner Lippen. 'Danke, Jesus, jetzt kann ich mir selbst ein Bild von dir machen!', sagt Bartimäus. 'Wie lange bist du schon blind?' 'Es sind wohl schon an die zehn Jahre.' 'Also, zehn Jahre hast du gehofft?' 'Nun ja, gehofft und nicht gehofft. Einmal wollte ich mich aufhängen.' 'Und jetzt?' 'Jetzt habe ich mich drein gefügt. Nun sage ich mir, dass das Leben auch mit geschlossenen Augen schön ist.' 'Lässt du mich auch dein Gesicht berühren?' 'Du meines, aber du bist doch nicht blind!'

Jesus tritt einen Schritt näher und streicht über die Augen dieses Mannes, der auch jetzt immer noch lächelt. 'Deine Hoffnung war deine Stütze während all dieser Jahre. Du hast gelernt, das Wichtigste zu sehen, Bartimäus. Du hast mit den Augen des Herzens zu sehen gelernt.' 'Und ... und, jetzt sehe ich dich. Nein, nein ... das kann nicht sein. Ich sehe dein Gesicht. Ich habe dich nur vom Hörensagen gekannt. Und jetzt sehe ich dich mit meinen eigenen Augen. Ich sehe! Ich sehe!'

Die Bewohner von Jericho drängen sich um Jesus und Bartimäus und rufen und schreien vor Begeisterung. Sie sagen: 'Jesus ist der, auf den unser Volk schon so lange wartet.'

Bartimäus geht seinen weiteren Weg mit Jesus und lernt von ihm.

Vor den Toren von Jericho bleiben ein schmutziger Bettlermantel und ein alter Stock auf der staubigen Straße zurück.

Jesus, unser Herz ruft voll Sehnsucht: Wir wollen dich sehen, dich verstehen und dich aufnehmen in unsere Herzensmitte. Dich sehen, dich, das treue Abbild des mütterlich und väterlich ewig liebenden und gütigen, des grenzenlos menschenfreundlichen und barmherzigen, des bedingungslos vergebenden, des unendlich sanftmütigen, gewaltfreien und friedvollen, des unsagbar herrlichen und unaufhörlich glückseligmachenden Gottes.