Jesus - der neue Moses

Text: Matthäusevangelium 2, 13–23 - Einheitsübersetzung neu

Als die Sterndeuter wieder gegangen waren, siehe, da erschien dem Josef im Traum ein Engel des Herrn und sagte: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und flieh nach Ägypten; dort bleibe, bis ich dir etwas anderes auftrage; denn Herodes wird das Kind suchen, um es zu töten. Da stand Josef auf und floh in der Nacht mit dem Kind und dessen Mutter nach Ägypten. Dort blieb er bis zum Tod des Herodes. Denn es sollte sich erfüllen, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen. Als Herodes merkte, dass ihn die Sterndeuter getäuscht hatten, wurde er sehr zornig und er sandte aus und ließ in Betlehem und der ganzen Umgebung alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren töten, genau der Zeit entsprechend, die er von den Sterndeutern erfahren hatte. Damals erfüllte sich, was durch den Propheten Jeremia gesagt worden ist: Ein Geschrei war in Rama zu hören, lautes Weinen und Klagen: Rahel weinte um ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, denn sie waren nicht mehr. Als Herodes gestorben war, siehe, da erschien dem Josef in Ägypten ein Engel des Herrn im Traum und sagte: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und zieh in das Land Israel; denn die Leute, die dem Kind nach dem Leben getrachtet haben, sind tot. Da stand er auf und zog mit dem Kind und dessen Mutter in das Land Israel. Als er aber hörte, dass in Judäa Archelaus anstelle seines Vaters Herodes regierte, fürchtete er sich, dorthin zu gehen. Und weil er im Traum einen Befehl erhalten hatte, zog er in das Gebiet von Galiläa und ließ sich in einer Stadt namens Nazaret nieder. Denn es sollte sich erfüllen, was durch die Propheten gesagt worden ist: Er wird Nazoräer genannt werden.

Texterläuterung

Herodes (* etwa 73 v. Chr.; + 4 v. Chr.; Regierungszeit von 37 v. Chr. bis zu seinem Tod) führte den Titel "der Große" in politischem Sinne zu Recht, denn er war der einzige vom römischen Reich abhängige Herrscher, der neben Kaiser Augustus eigenes Format entwickelte. Als Araber (Idumäer) heiratete er 37 v. Chr. Mariamne aus dem hohenpriesterlichen Geschlecht der Hasmonäer; er rottete dieses daraufhin systematisch aus, auch seine Frau und deren Söhne wurden nicht geschont. Herodes ist König von Roms Gnaden, opferte deshalb dem Jupiter auf dem Kapitol zu Rom und gründete in Palästina Städte und benannte andere um zu Ehren des Kaisers (Caesarea, Sebaste), den dort eigene Tempel und Kapellen als Gottheit verherrlichten. Herodes wollte gleichzeitig den Juden schmeicheln und erneuerte den Tempel zu Jerusalem. Er blieb dennoch bei ihnen verhasst. Herodes lebte mit zehn Frauen unglücklich und war voller Argwohn, Rom, die Juden und seine eigene Familie könnten ihm den Thron rauben. Er starb fast im Wahnsinn. Der jüdische Geschichtsschreiber Josephus Flavius (geboren 37/38 n. Chr.) charakterisiert Herodes, dem allein zehn Morde in der eigenen Familie nachgewiesen werden: "Dass jemand in der ersten Aufwallung sich zu grausamen Handlungen hinreißen lässt, ist wohl schrecklich, doch immerhin erklärlich. Wenn aber nach reiflicher Überlegung und nach öfterem Vorgehen und Einhalten endlich eine solche Freveltat doch begangen wird, so kann das nicht anders denn als Zeichen eines blutdürstigen und durchaus verrohten Gemütes gedeutet werden. Das bewies Herodes auch in der Folgezeit, indem er selbst derer nicht schonte, die ihm am teuersten waren."

Josephus Flavius beschreibt - wie schon angeführt - die Grausamkeiten von Herodes dem Großen ausführlich. Den Kindermord von Bethlehem erwähnt er allerdings nicht. Das spricht gegen seine Geschichtlichkeit.

"Ein Geschrei war in Rama zu hören, lautes Weinen und Klagen: Rahel weinte um ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, denn sie waren nicht mehr." Wieder begegnet uns ein Erfüllungszitat, diesmal aus Jeremia 31, 15.

Rama liegt nach Richter 19, 13 nördlich von Jerusalem. Dazu stimmt, dass nach 1 Sam 10, 2 Rahel an der Grenze zwischen den Gebieten Benjamin und Efraim begraben ist, und dass in Jeremia 31, 18 Efraim genannt wird, dessen Gebiet nördlich von Jerusalem liegt. 1. Buch Mose 35, 16-19 bestimmt den Ort näher als zwischen Bet-El und Efrata liegend. Allerdings wurde hier und in 1. Buch Mose 48, 7 wegen Micha 5, 1, wo Bethlehem auch Bethlehem-Efrata heißt, Efrata mit Bethlehem gleichgesetzt, das südlich von Jerusalem liegt.

Herodes starb, etwa 70 Jahre alt, in Jericho, kurz vor dem Osterfest 4 v. Chr.. Sein letzter Wille, die in der Rennbahn von Jericho zusammengetriebenen vornehmen Juden sollten im Augenblick seines Todes auch umgebracht werden, wurde nicht mehr ausgeführt.

"es sollte sich erfüllen, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen": Das ist eines der vielen Erfüllungszitate aus den Schriften des Alten Testamentes, die der Verfasser des MatthÄus-Evangeliums anführt. Zitat aus dem Buch des Propehten Hosea: "Als Israel jung war, gewann ich ihn lieb, ich rief meinen Sohn aus Ägypten." Der Verfasser des Matthäus-Evangeliums macht damit eine Anspielung auf die Errettung des Volkes Israel aus der Fremdherrschaft in Ägypten. So wie Gott damals das Volk Israel beschützt und gerettet hat, so beschützt und errettet er auch das Kind Jesus.

Nach dem Tod des Herodes des Großen wurde sein gesamter Herrschaftsbereich auf seine drei Söhne aufgeteilt: Herodes Antipas, Herodes Archelaus und Herodes Philippus.

Wenn das Neue Testament von Stadt spricht, folgt es der griechischen Übersetzung des Alten Testamentes, die den hebräischen Ausdruck für einen selbständigen Ort, ob groß oder klein, mit "polis" (= Stadt) wiedergibt. Im heutigen Sinn war Nazareth damals ein Dorf.

"es sollte sich erfüllen, was durch die Propheten gesagt worden ist: Er wird Nazoräer genannt werden": Welches Prophetenwort sich hier erfüllte, ist nicht sicher, weil es dieses Wort im Alten Testament in dieser Form nicht gibt. Vielleicht ist es eine Anspielung auf Jes 11, 1 oder auf Stellen im Buch Sacharja, in denen der Messias mit einem bei den Propheten beliebten Wort "Spross" (hebräisch: nesär) aus dem Stamm Jesse genannt wird. Denn "Mann aus Nazareth", "Nazarener", heißt hebräisch "nosri", in der Mundart "nazoreios".

Gottes Wort ist für uns wie Licht in der Nacht

Der Kindermord von Bethlehem hat mit größter Wahrscheinlichkeit nicht stattgefunden, demzufolge auch nicht die Flucht nach Ägypten. Das ergibt die historische Forschung, auf die wir hier nicht näher eingehen.

Es ist der Frage nachzugehen, was der Autor des Matthäus-Evangeliums mit dieser Erzählung sagen will.

Der Verfasser des Matthäus-Evangeliums schrieb sein Evangelium in einer Umgebung, wo es schon eine christliche Gemeinde gegeben hat. Zu ihr gehörten Menschen mit jüdischer und nichtjüdischer Herkunft. Die Mitglieder dieser Christengemeinde waren die ersten Leser des Matthäus-Evangeliums. Jene, die ursprünglich der jüdischen Religion angehörten und dann Christinnen und Christen geworden sind, kannten die Bibel des Alten Testamentes und waren vertraut mit der Hoffnung und Erwartung des kommenden Messias Gottes. Ihnen darzulegen und aufzuzeigen, dass mit Jesus der in den alttestamentlichen Schriften angekündigte und sehnlich erwartete Messias gekommen ist, darum ging es dem Verfasser des Matthäus-Evangeliums. Aus diesem Grund führt er eine Menge dementsprechender Zitate und Textstellen aus der Bibel des Alten Testamentes an.

In der Geschichte des jüdischen Volkes gehört Mose zu den ganz großen Gestalten. Als Befreier des Volkes Israel aus der Versklavung in Ägypten und als Urheber und Begründer des religiösen jüdischen Gesetzes gilt er im religiösen Judentum als allgemein anerkannte und unbestrittene Autorität.

Der Verfasser des Matthäus-Evangeliums kennzeichnet Jesus als den „neuen Mose”, der mit außergewöhnlicher eigenständiger Autorität auftritt und mit ausnehmend großer Überzeugungskraft das neue Volk Gottes lehrt.

Diese Stelle im Matthäus-Evangelium (Mt 2, 13-23) beinhaltet eine Parallele zwischen dem Kind Mose und dem Kind Jesus.

Das 2. Buch Mose erzählt die Geschichte von Mose in Ägypten und schildert am Beginn seine wundersame Errettung vor tödlicher Macht und Gewalt. Aus Angst, die Israeliten könnten sich so stark vermehren und ihm am Ende seine Macht wegnehmen, lässt der ägyptische Pharao alle kleinen Knaben der Israeliten in den Nil werfen. Mose ist das Kind einer israelitischen Familie. Seine Mutter versteckt den neugeborenen Sohn in einem mit Pech und Teer abgedichteten Binsenkörbchen im Schilf am Ufer des Nils. Als die Tochter des Pharao im Nil badet, entdeckt sie den Kleinen, sorgt für ihn und nimmt ihn schließlich als ihren Sohn an. So wird der Israelit Mose in Ägypten gerettet. Er wächst am Hof des Pharao auf und wird schließlich der Befreier der Israeliten.

Das Matthäus-Evangelium erzählt von der wundersamen Errettung des Kindes Jesus vor tödlicher Macht und Gewalt. Als König Herodes von einem neugeborenen König der Juden hört, kriegt er es mit der Angst vor einem Rivalen zu tun, der ihm womöglich zuletzt seine Macht streitig macht. Daher lässt er alle kleinen Buben in Bethlehem und der ganzen Umgebung umbringen.

Flucht nach Ägypten
Rembrandt, Flucht nach Ägypten

Josef, der Vater Jesu, erfährt im Traum die Weisung Gottes, mit dem Kind Jesus und seiner Mutter nach Ägypten zu fliehen und erst wieder nach Israel zurückzukehren, wenn die Gefahr für das Kind Jesus vorüber ist.

In Ägypten blieb Josef mit seiner Familie bis zum Tod des Herodes. Damit erfüllte sich, so schreibt Matthäus, das Wort des Propheten Hosea: "Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen." (Hosea 11,1)

Wie Mose wird auch Jesus in Ägypten vor tödlicher Verfolgung durch einen Herrscher bewahrt und wird als Lehrer des Reich Gottes Lebens, als Anleiter der Menschlichkeit, der Liebe und des Lebens der Erlöser des gesamten Gottesvolkes, nämlich der gesamten Schöpfung.